Das Urteil des Landesgerichts Karlsruhe (Az. 1 Ss 102/04) beschäftigt sich mit einem Fall, der eindrucksvoll zeigt, wie komplex die juristische Bewertung von Alkohol am Steuer sein kann – insbesondere dann, wenn der Betroffene nicht während der eigentlichen Fahrt, sondern erst im ruhenden Fahrzeug angetroffen wird. Der Fall verdeutlicht nicht nur die Grenzen der Beweisführung im Strafrecht, sondern hat auch weitreichende Konsequenzen für den Betroffenen im Hinblick auf Führerscheinrecht, mögliche medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) und die Frage der Schuldfähigkeit.
Ein Mann wurde mit einem Blutalkoholwert von 1,75 Promille in einem stehenden Auto aufgefunden. Der Motor lief, der Mann schlief auf dem Fahrersitz. Die Polizei ging davon aus, dass er zuvor das Fahrzeug unter Alkoholeinfluss gefahren hatte, und leitete ein Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ein. Das Amtsgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 900 Euro und entzog ihm die Fahrerlaubnis.
Diese Entscheidung stützte sich auf die Annahme, dass der Mann sein Fahrzeug in fahrbereitem Zustand geführt hatte und der Motorbetrieb darauf hindeutete, dass eine Fahrt unmittelbar zuvor stattgefunden hatte. Der Angeklagte bestritt jedoch, tatsächlich gefahren zu sein. Er habe lediglich im Auto geschlafen und den Motor eingeschaltet, um sich zu wärmen.
Das Landesgericht Karlsruhe hob das Urteil auf. In seiner Begründung stellte das Gericht fest, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 316 StGB („Trunkenheit im Verkehr“) nicht zweifelsfrei erfüllt seien. Für eine strafbare Trunkenheitsfahrt müsse eindeutig bewiesen werden, dass der Beschuldigte das Fahrzeug tatsächlich geführt habe – also eine Fortbewegung des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr stattgefunden habe.
Da der Mann lediglich schlafend im Auto angetroffen wurde, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er sich gar nicht oder zumindest nicht im Zustand der Alkoholisierung im Straßenverkehr bewegt hatte. Besonders relevant war jedoch der Hinweis des Gerichts, dass der festgestellte Blutalkoholwert von 1,75 Promille nur ein sogenannter „Restalkoholwert“ war. Das bedeutet: Wenn der Mann zuvor gefahren wäre, hätte er während der Fahrt einen noch deutlich höheren Promillewert gehabt – möglicherweise über 3,75 Promille.
Ab einem Wert von über 3,0 Promille wird in der Regel von einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ausgegangen. Das Gericht stellte somit die Möglichkeit in den Raum, dass der Mann zum Zeitpunkt der eventuellen Fahrt gar nicht schuldfähig gewesen sein könnte. Da dieser Sachverhalt nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, musste der Angeklagte im Zweifel freigesprochen werden – ganz im Sinne des Grundsatzes „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten).
Obwohl der Mann strafrechtlich nicht verurteilt wurde, bedeutet das nicht automatisch, dass keine weiteren Folgen drohen. Fahrerlaubnisrechtlich kann die Führerscheinstelle unabhängig von einem Strafverfahren prüfen, ob die Eignung zum Führen von Fahrzeugen noch gegeben ist. Bei einem Promillewert von 1,75 kann die Behörde Zweifel an der Fahreignung haben und gemäß § 13 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung) die Vorlage eines MPU-Gutachtens anordnen.
Eine MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) soll klären, ob der Betroffene in der Lage ist, künftig verantwortungsbewusst und nüchtern am Straßenverkehr teilzunehmen. Besteht er diese nicht, wird die Fahrerlaubnis nicht wiedererteilt. Das bedeutet: Auch wenn das Strafverfahren eingestellt oder aufgehoben wurde, kann der Betroffene seinen Führerschein vorerst verlieren, bis er die MPU erfolgreich absolviert hat.
Darüber hinaus kann die Fahrerlaubnisbehörde bei einer solchen Alkoholisierung selbstständig eine Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen, wenn sie den Betroffenen als ungeeignet zum Fahren einstuft. Die Wiedererteilung ist dann an strenge Auflagen gebunden – etwa an eine längere Abstinenzzeit und regelmäßige Nachweise darüber.
Das Urteil des Landesgerichts Karlsruhe zeigt, wie eng die Grenzen zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht im Verkehrsbereich verlaufen. Strafrechtlich konnte der Mann mangels Beweisen für eine tatsächliche Fahrt nicht belangt werden. Doch verwaltungsrechtlich – also in Bezug auf die Fahreignung – bleibt der Fall brisant.
Die Entscheidung verdeutlicht: Schon das Verhalten, betrunken im Auto zu schlafen, kann erhebliche Konsequenzen haben. Selbst wenn kein strafbarer Tatbestand vorliegt, müssen Betroffene mit führerscheinrechtlichen Maßnahmen, MPU-Anordnungen und langfristigen Einschränkungen ihrer Mobilität rechnen. Für die Praxis bedeutet das: Wer unter Alkoholeinfluss steht, sollte das Fahrzeug meiden – auch dann, wenn er nur darin schlafen will. Denn die Grenze zwischen „Schlafen im Auto“ und „Fahren unter Alkohol“ kann juristisch schnell verschwimmen.
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